Erinnern wach halten an das Lager-Leid
Flößberg/Eulatal (Eig. Ber.). Spuren, die daran erinnern, was vor 55 Jahren nahe der Waldsiedlung im Fürstenholz geschah, gibt es noch zahlreiche. Und es gibt auch viele Menschen, ältere wie jüngere, die sich für die Geschichte des Außenlagers des KZ Buchenwald interessieren. Mit ihnen geht Pfarrer i.R. Hans-Ulrich Dietze dann hinaus zu jenen Stellen, die von den Leiden der Gefangenen, die hier Panzerfäuste herstellen mussten, erzählen.
Text: Leipziger Volkszeitung (12.04.2000)
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Die Führungen wider das Vergessen finden Resonanz
Vor 55 Jahren wurde das Flößberger KZ an der Waldsiedlung geräumt

Flößberg/Eulatal. Vor 55 Jahren wurde das Konzentrationslager im Fürstenholz bei Flößberg, der heutigen Waldsiedlung benachbart, aufgelöst. Am 13. April 1945 wurde das Lager "evakuiert", die Gefangenen in Viehwaggons in unbekannte Richtung abtransportiert. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt; da nie einer von ihnen zurück kehrte, geht Pfarrer i.R. Hans-Ulrich Dietze davon aus, dass die Männer noch in den letzten Kriegstagen umgebracht wurden. Das mehr als halbe Jahrhundert, das seither ins Land ging, hat die Spuren des Lagers im Fürstenholz überwuchert. Aber noch immer kann man Hinweise finden, und noch immer gibt es zahlreiche Menschen, die das Erinnern an dieses Geschehen wach halten wollen und sich auf diese Spurensuche begeben.

Dietze, der sich seit vielen Jahren intensiv mit der Geschichte dieses KZ, einem Außenlager von Buchenwald beschäftigt, führt immer wieder Gruppen - Menschen allen Alters, aus vielen Orten der Region und darüber hinaus -, gibt seine Erkenntnisse weiter. "Ich gebe mir Mühe, nur das zu bringen, was gesichert ist", sagt Dietze seinen Zuhörern.

Die Stelle, wo die Querbahnlinie Borna - Großbothen die Landstraße zwischen Flößberg und Beucha kreuzte, ist auszumachen. Hier zweigte das Anschlussgleis ins Lager ab. Auf dem Feld unmittelbar an der Straße zog sich, zweifach eingezäunt, das KZ bis zum Wald. Zehn Häftlingsbaracken standen hier. Vom Wald verborgen waren die Produktionsstätten. Hier mussten die Gefangenen für die Leipziger HASAG Panzerfäuste mit Sprengstoff befüllen, eine sehr gefährliche Arbeit. Die von einem Erdwall eingefassten Gruben sind - heute mit Wasser gefüllt - noch immer auszumachen. Auch die Krater, die bei Bombenangriffen auf das Lager, Flößberg und Beucha am 5. März 1945 in den Boden gerissen wurden, sind noch zu sehen. Das tiefste Erdloch entstand am 1. Mai 1945, als die Zünderlagerstätte in die Luft flog und in den umliegenden Orten die Fensterscheiben eindrückte.

Das Lager bei Flößberg bestand von Anfang Dezember 1944 bis zum 13. April 1945 für eine Fabrik, die die HASAG im besetzten Polen aufgrund der vorrückenden Front räumen musste. Insgesamt waren 1.904 Häftlinge im Lager, vorwiegend junge ungarische Juden. Im Februar 1945 wurden 461 nach Buchenwald transportiert, weil sie nicht mehr arbeitsfähig waren. 168 Häftlinge wurden im Lager ermordet oder starben dort. Drei Häftlinge entgingen, wie Zeitzeugen sich später erinnerten, der Auflösung des Lagers, in dem sie sich mehrere Tage bis zur Befreiung durch die US-Amerikaner unter einer Barackendielung versteckt hielten.

Was bringt Hans-Ulrich Dietze dazu, sich mit der Geschichte dieses Lagers zu befassen und sie anderen Menschen nahe zu bringen? Er sieht nicht nur die Betroffenheit, wenn ein still daliegendes Areal zu reden beginnt, sobald er von den Zeugenaussagen über die grausame Behandlung der Häftlinge erzählt. "Geschichte ist ein Teil der Gegenwart, und die jungen jüdischen Häftlinge von damals würden unsere jungen Leute in der Gegenwart fragen, in wie weit der Mensch das Recht hat, hohe Ansprüche an das Leben wie selbstverständlich zu stellen", meint Dietze.

Als Theologe weiß er, dass in jenem Gelände mit Sicherheit viele Male das Schma Jisrael, das tägliche und zugleich Sterbegebet der frommen Juden, gesprochen wurde: "Höre Israel, der Herr, euer Gott, ist der einzige Herr." Hitler, der die Juden habe ausrotten wollen, habe durch Selbstmord geendet; das Judentum existierte weiter. Deshalb, so Dietze, sei das Flößberger KZ-Gelände für ihn auch ein Grund, sich mit dem Judentum zu beschäftigen.
Text: Ekkehard Schulreich, Leipziger Volkszeitung (12.04.2000)
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