Pogrom-Augenzeugen wollen Gedenktafel in Stadt
Borna. Rolf K. Günther kann die Szene vom November 1938 nicht vergessen. "Ich musste mit ansehen, wie unsere Klassenkameradin Ruth Rose auf einem offenen LKW abtransportiert wurde", erinnert sich der jetzt in Wustrow lebende Bornaer. "Dieses Bild hat sich tief in meine Seele eingebrannt."

Ruth hatte Glück. Sie war offenbar die einzige Überlebende ihrer Familie. Ihre Mutter starb in einem KZ bei Danzig, ihr Vater kam ins KZ Sachsenhausen, von wo nie wieder ein Lebenszeichen kam.

Seit 9. November 1938 hatten die Nazis in ganz Deutschland Synagogen niedergebrannt, jüdische Geschäfte und Friedhöfe verwüstet. In der Bornaer Pogromnacht vom 11. November brannte auch das Textil- und Schuhgeschäft "Britania" der jüdischen Familie Rose in der Roßmarktschen Straße 21. Jetzt haben Augenzeuge Günther und andere Bornaer bei Oberbürgermeister Schubert angeregt, bis zur 750-Jahr-Feier eine Gedenktafel an dem Haus anzubringen.

"Gerade in der heutigen Zeit wäre es denkbar, dass unsere Kommunalpolitiker das Thema aufgreifen", schreibt Stadtführerin Sabine Raabe in dem Brief an den Rathauschef. "Eine solche Tafel wäre ein wichtiges Zeichen, da auch hier viele junge Leute rechtsradikalem Gedankengut verfallen", ergänzt die Vorsitzende der Arbeitsgruppe "Bornaer Tourismus-Treff" gegenüber der LVZ.

In ihrer Eigenschaft als Fremdenführerin lernte Sabine Raabe bei einem Borna-Rundgang auch Rolf K. Günther kennen. Der Wustrower war zu einem Klassentreffen nach 60 Jahren in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Günther schilderte der Stadtführerin sein Erlebnis vom November '38 und schrieb ihr wenig später, dass er "im Namen aller meiner Klassenkameraden" den Vorschlag unterstütze, an dem Gebäude in der Roßmarktschen Straße eine Gedenktafel anzubringen. "Ich meine, dass das fair wäre und die Stadt eine gute Möglichkeit hätte, an diese dunkle Zeit deutscher Geschichte zu erinnern", so Günther.

Sabine Raabe weiß, dass "ich allein diesen Wunsch nicht werde realisieren können". Seither ist sie auf der Suche nach breiter Unterstützung. Stadträte sollen ebenso für das Anliegen gewonnen werden wie leitende Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Gute Verbindungen hat die Stadtführerin, immerhin arbeitet etwa Kulturamtsleiter Eckard Höhn im Bornaer Tourismus-Treff aktiv mit.

Zumindest beim Oberbürgermeister rennen die Initiatoren damit offene Türen ein. "Eine solche Gedenktafel würde gerade in der heutigen Zeit sehr gut passen", kommentierte Bernhard Schubert gestern gegenüber der LVZ den Vorschlag. "Wir würden das auf jeden Fall begrüßen und unterstützen."

Der Rathauschef räumte allerdings ein, dass zuvor sich das Stadtparlament grundsätzlich dazu bekennen müsste. "Ich werde den Vorschlag für eine Gedenktafel deshalb in der nächsten Sitzung des Hauptausschusses unterbreiten", versicherte Schubert. Danach müsste auch noch mit dem derzeitigen Besitzer des Gebäudes Einvernehmen erzielt werden, damit die Gedenktafel angebracht werden kann. "Sobald diese Dinge geklärt sind, steht dem Vorhaben nichts weiter mehr im Wege", so Bernhard Schubert. Er rechnet damit, dass die Gedenktafel mit Sicherheit im Laufe des nächsten Jahres angebracht werden kann.
Text: Frank Döring, Leipziger Volkszeitung (09.11.2000)
Foto: Andreas Döring
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