Männer mit Beilen vor dem Kaufhaus
Briefe der jüdischen Kaufhausbetreibertochter Ruth Rose an den Geschichtsverein übergeben

Borna. Der Geschichtsverein hat jetzt Dokumente bekommen, die die Geschehnisse rund um die sogenannte Reichskristallnacht im Jahr 1938 in Borna beleuchten. Es handelt sich um Briefe, die Ruth Rose von der Familie der Inhaber des Kaufhauses Britania in der Roßmarktschen Straße zwischen 1945 und 1949 an den damaligen Bornaer Bürgermeister und späteren Stadtrat Ehregott Ulbricht geschrieben hat.

Es sind erschütternde Ereignisse, die Ruth Rose beschreibt. So schildert die Tochter des jüdischen Kaufhaus-Inhabers Carl Rose, wie sie als 12-jährige den Pogrom in Borna erlebte - am 10. November 1938, einen Tag, nachdem an vielen Orten im Deutschen Reich Synagogen und jüdische Geschäfte in Flammen aufgegangen und Juden drangsaliert, gequält und auch getötet worden waren. So schreibt Ruth Rose am 2. März 1947 aus Hamburg, wo sie nach ihrer Befreiung aus dem Konzentrationslager Stutthof gelandet war, wie am Abend des 10. November acht Nazis mit Beilen in der Hand vor dem Kaufhaus Britania standen und sie und ihre Familie vertrieben. Ihr Vater wurde dabei schwer misshandelt.

Ein Dokument des Grauens, das jetzt im Bestand des Geschichtsvereins gelandet ist. Dort übergab es der Kreisvorsitzende der Linken Westsachsen, Holger Luedtke. Ein Parteimitglied hatte die Sammlung von Briefen und Dokumenten über die Jahrzehnte aufbewahrt. Jetzt, so Luedtke, wurden die Papiere in seinem Nachlass gefunden.

Der erste Brief stammt aus dem Jahr des Kriegsendes. Ruth Rose fragt in Borna im Namen ihrer Familie, von der die meisten Mitglieder im KZ ums Leben kamen, nach dem Kaufhaus Britania. Sie wandte sich dabei an den Bürgermeister Ehregott Ulbricht, Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), der bis zum Jahr 1947 als Bürgermeister im Amt blieb und später Stadtrat war. Daraus entstand ein intensiver Briefwechsel, der nun von den Mitgliedern des Geschichtsvereins ausgewertet werden soll, wie dessen Vorsitzender Gert Schreiber ankündigt. Sein Stellvertreter Siegfried Nass: "Das müssen wir jetzt Zeile für Zeile durchgehen."

Zu den Dokumenten gehört auch das Urteil des Landgerichts Leipzig, das sich 1948 mit den Ereignissen rund um das Kaufhaus Britania beschäftigte. Dabei standen vier Bornaer vor Gericht, zu denen der ehemalige Bornaer Kreisleiter der NSDAP sowie Mitglieder der SS und der SA gehörten. Sie wurden zu Haftstrafen zwischen einem und fünf Jahren Haft verurteilt.

Wenn die Dokumente aufgearbeitet sind, lässt sich damit eine Erkenntnislücke füllen, sagt Geschichtsvereinschef Schreiber. Auf jeden Fall soll es in der Perspektive eine Ausstellung zu dem Thema geben. Denkbar sei auch eine Broschüre.

Kommentar: Pflichtlektüre für jeden Bornaer Schüler
von Nikos Natsidis

Es sind erschütternde und hochinteressante Dokumente, die der Bornaer Geschichtsverein jetzt bekommen hat. Die Briefe von Ruth Rose machen deutlich, dass auch in Borna unmenschliche Verbrechen an Juden im Dritten Reich verübt wurden. Weshalb die Dokumente ausgewertet werden müssen.

Und dabei darf es nicht bleiben. Zeitzeugenberichte wie die von Ruth Rose dürfen nicht in den Archiven verdienter Heimathistoriker schmoren. Gut aufgearbeitet gehören sie in die Schulen - als Pflichtlektüre für jeden Schüler in Borna und im Umland. Wer die Beschreibung der sogenannten Reichskristallnacht in Borna aus der Feder der damals 12-jährigen Ruth Rose liest, begreift das Unbegreifliche dieser Jahre, das sich in der eigenen Stadt, an vertrauten Orten abgespielt hat.

Auch die Bornaer Museumsmacher sind gefragt. Das Schicksal der Bornaer Juden wäre allemal eine Ausstellung wert - auch jenseits von Jubiläumsjahren.
Text: Nikos Natsidis, Leipziger Volkszeitung (13.03.2014)
Foto: Thomas Kube
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