Der Holocaust vor der Haustür
Flößberg. Die NSDAP feierte die Panzerfaust als "Wunderwaffe" - für den vermeintlichen Endsieg. Die Leipziger Rüstungsfirma Hugo Schneider Aktiengesellschaft (HASAG) sollte sie produzieren - und brauchte dazu billige Arbeitskräfte. So entstanden Außenlager des KZ Buchenwald, das siebente Lager in Flößberg bei Frohburg. Häftlinge sollte auch hier eine Panzerfaustfabrik bauen. Doch zunächst wurden Baracken errichtet, umzäunt mit Stacheldraht.

Am gestrigen Holocaust-Gedenktag wurde auch hier an die Opfer der NS-Diktatur erinnert. Bis zum Kriegsende mussten in Flößberg 1.900 Männer, meist Juden aus Ungarn und Polen, menschenunwürdig arbeiten, leben und sterben. "Überall waren Tote, die als Warnung für uns tagelang liegenblieben, wo sie hingefallen waren", erinnerte sich einst Stephen Casey, einer der Überlebenden.

235 Menschen starben in diesem Lager. 570 wurden nach Buchenwald geschickt, von denen 266 dort umkamen. Im April 1945 deportierten die Nazis alle Flößberger Gefangenen, damals 1.144, ins KZ Mauthausen. Vielen von ihnen starben auf dem Transport. Heute gilt das Außenlager als einer der Hauptverbrechensorte des NS-Regimes im Landkreis Leipzig.

Doch jahrzehntelang war es ein fast vergessener Ort. Wald und Felder, nur ein Stein mit den Worten "Die Toten mahnen". "Dieses KZ-Außenlager war kaum bekannt", sagt Wolfgang Heidrich von dem Geschichtswerkstatt Flößberg e.V., die den Erinnerungsort seit 2006 Stück für Stück wieder belebt. Der 57-jährige hat sich auch mit der Geschichte des Friedhofs beschäftigt, der nach seiner Sanierung gestern zur Gedenkstunde eingeweiht wurde. Ab März 1945 wurden die Toten nicht mehr nach Buchenwald gebracht, sondern in Massengräbern vor Ort verscharrt. 98 KZ-Opfer liegen heute auf dem Bornaer Friedhof, 38 Menschen im Flößberger Fürstenholz. 1951 wurde dieser kleine Friedhof planiert.

Heute erzählt eine große Tafel von der Rüstungsfirma HASAG und der Geschichte des Lagers, daneben stehen die Namen und Lebensdaten der Opfer. Grabsteine mit Davidsternen ragen aus der Erde, gestern geschmückt mit Rosen und kleinen Steinen. "Gerade jetzt, wo Menschen diffuse Ängste vor den Fremden und vor dem Fremden haben, ist das Erinnern besonders wichtig", sagte Torsten Wünsche (39), Vorsitzender des Fördervereins Gedenkstätte Flößberg e.V., der die Geschichtswerkstatt unterstützt. "Dieses Lager hat den Holocaust vor unsere Haustür gebracht." Er wünsche sich, dass man "vom Schuldbekenntnis weg zur Erinnerungskultur" kommt.

"Die Vergangenheit bewahren, um die Zukunft zu schützen", warb Stephen Casey. Daniel Gaede von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald erinnerte in seinem Grußwort an diese Worte des ehemaligen Häftlings und mahnte: "Die Zukunft der Welt hängt von dem ab, was wir heute tun und lassen, ob wir es vermeiden an Entwicklungen teil zu haben, die erneut in Verbrechen führen und ob wir anderen mit Respekt und Menschenwürde begegnen - trotz aller Konflikte, die wir zu bewältigen haben." Der Frohburger Bürgermeister Wolfgang Hiensch fragte sich laut, "ob wir genug Lehren aus den Kriegen und den vielen Toten gezogen haben".

Ein weiteres Projekt der Geschichtswerkstatt steht an. Ein Stück Bahndamm - die Bahnverbindung war wesentlich für das Außenlager - zwischen Flößberg und Beucha soll zur Gedenkstätte werden, bepflanzt mit Blutbuchen und roten Gräsern. Die Schirmherrschaft hat der Leipziger Kabarettist und Autor Bernd-Lutz Lange übernommen.
Text: Claudia Carell, Leipziger Volkszeitung (28.01.2015)
Fotos: Andreas Döring
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